Artikel im Beobachter

Sanieren ohne Streit

Sanierungsbedürftige Gebäude im Stockwerkeigentum – dafür müssen sich die Eigentümer zusammenraufen und das nötige Geld auftreiben, dies ist jedoch nicht immer ganz einfach.

 


Originalbeitrag des Beobachters

Viele Gebäude im Stockwerkeigentum sind sanierungsbedürftig. Also müssen sich die Eigentümer zusammenraufen und das nötige Geld auftreiben – doch das ist nicht immer einfach.

Die Sanierung eines Dreifamilienhauses im Berner Elfenauquartier startete erdenklich schlecht. Schnell traten die ersten Unstimmigkeiten zu Tage, die Emotionen schaukelten sich hoch, eine externe Mediation wurde nötig. Doch auch diese scheiterte. Einig waren sich die drei Stockwerkeigentümer nur über eines: Die alte Ölheizung musste dringend ersetzt werden. Aber mit welcher Art Heizung und ob gleich auch das Dach erneuert und isoliert werden sollte – darüber herrschte kein Konsens.

Die Querelen führten ausserdem zu einem Vertrauensverlust in die bisherige externe Verwaltung der Liegenschaft – man trennte sich von ihr. Das Mandat übernahm neu Michel Wyss, Immobilienbewirtschafter mit eidgenössischem Fachausweis und ausserdem «Dossierspezialist Stockwerkeigentum» beim Hausverein Schweiz.

 

Zu wenig im Topf

«Zuerst musste ich eine Vertrauensbasis aufbauen», sagt Wyss. Er hatte alle Eigentümer davon zu überzeugen, dass er sich absolut neutral verhalten würde. «Wir mussten die Diskussion wieder auf eine sachliche Ebene bringen.» Doch schon zeigte sich ein neues Problem: Der Erneuerungsfonds der Stockwerkeigentümergemeinschaft enthielt gerade einmal 70’000 Franken. «Dass die Sanierungskosten weit darüber liegen würden, war klar», sagt Wyss.

Ein verbreitetes Problem: Viele Eigentümergemeinschaften legen nichts oder viel zu wenig für die Erneuerung des Gebäudes zurück (siehe Box unten «Wie viel Geld in den Erneuerungsfonds?»). Die ersten, die es nun betrifft, sind die Besitzer der zahlreichen Liegenschaften aus der Anfangszeit des Stockwerkeigentums in den Sechzigerjahren: Mit gut 40 Jahren auf dem Buckel sind diese Gebäude jetzt sanierungsbedürftig. Und das macht selbst dem Bund Bauchweh – er befürchtet einen «Sanierungsstau»: Einerseits weil in den Erneuerungsfonds oft das Geld fehlt, andererseits weil man in Bern weiss, dass den Stockwerkeigentümergemeinschaften gerade Beschlüsse für umfassende und teure Projekte nicht leicht fallen – schon gar nicht, wenn jeder Einzelne noch einige Zehntausend Franken nachschiessen muss.

 

Heterogene Gemeinschaft

Genau das blühte auch den Eigentümern der Liegenschaft im Berner Elfenauquartier. Man favorisierte eine Erdsondenwärmepumpe und wollte das Dach umfassend sanieren, inklusive neuer Isolation. Kosten: rund 285’000 Franken. Angesichts des Erneuerungsfonds mit seinen 70’000 Franken bedeutete dies: jede Partei musste selber nochmals rund 70’000 Franken auftreiben. Für die zwei pensionierten Wohnungseigentümer war dies kein grösseres Problem, für den jüngeren Besitzer, der seine Einheit vermietet, hingegen schon.

Wie eine Eigentümergemeinschaft zusammengesetzt ist, hat einen grossen Einfluss darauf, ob ein Sanierungsprojekt gelingt. Oft ist beim Ersterwerb der Wohnungen eine Gemeinschaft noch ziemlich homogen – alle sind in einem ähnlichen Alter und haben ähnliche Wertvorstellungen. Dann jedoch, 30 bis 40 Jahre später, sind – gerade in grösseren Überbauungen – etliche Wohnungen verkauft, vererbt oder vermietet, und die Bewohnerschaft setzt sich plötzlich sehr heterogen zusammen. So wird es schwieriger sich zu einigen.

 

Wie viel Geld in den Erneuerungsfonds?

Es gibt keine gesetzliche Pflicht für Stockwerkeigentümer, einen Erneuerungsfonds einzurichten – aber wer es nicht tut, schneidet sich ins eigene Fleisch. Denn eine Liegenschaft, die nicht oder nur schlecht unterhalten wird, verliert schnell an Wert. Wer eine solche Abwertung verhindern will, muss sein Gebäude also in Schuss halten und den aktuellen Bedürfnissen anpassen. Weniger klar ist, wie viel in den Fonds eingezahlt werden soll. Der Schweizer Stockwerkeigentümerverband etwa empfiehlt eine jährliche Einlage von mindestens 0,3 Prozent des Gebäudeversicherungswerts.

Daran scheinen sich viele zu halten: Eine nicht repräsentative Erhebung in der Region Zürich durch das Swiss Finance Institute hat ergeben, dass im Durchschnitt tatsächlich rund 0,3 Prozent des Werts in den Erneuerungsfonds eingezahlt werden. «Viel zu wenig», entgegnen andere Experten, es sollten mehr als doppelt so viel sein – zirka 0,75 Prozent im Minimum. Noch besser wäre eine jährliche Einlage von rund einem Prozent.

Gemeinschaften, die es für ihre Liegenschaft genau wissen wollen, lassen eine Bestandsaufnahme vornehmen. Dabei wird eine Planung für 30 bis 50 Jahre erstellt. Diese zeigt, wann welche Bauteile ersetzt oder saniert werden müssen und wie viel es kosten wird. Damit kennt jeder Eigentümer den künftigen Finanzbedarf genauso wie den Saldo, den der Erneuerungsfonds bis zum entsprechenden Datum aufweisen sollte.

Berner Elfenauquartier

Auch die drei Berner Eigentümer mussten viel Zeit in Sitzungen investieren. Dass sich die Gemeinschaft für die relativ teure Erdsondenwärmepumpe entschied, hat gemäss Immobilienbewirtschafter Wyss hauptsächlich mit dem Beizug eines Heizungsexperten zu tun: «Dieser konnte den Eigentümern kompetent und anschaulich die Vor- und Nachteile aller Heizungsvarianten erklären.» Das habe eine gute Basis für Diskussionen gebildet. Und weil mit der Evaluation der Heizung durch den Experten nicht automatisch auch das Mandat für die Installation verbunden war, vertrauten die Eigentümer auf das neutrale Urteil des Heizungsplaners.

Danach wurde eine sehr genaue Kostenschätzung für die ganze Sanierung erstellt. Aufgrund dieser konnte die Bank dem jüngeren Eigentümer für die Aufstockung seiner Hypothek einen positiven Vorentscheid geben. Dies machte schliesslich den Weg frei für den einstimmigen Entscheid zur Umsetzung des Sanierungsprojekts.

 

Einstimmigkeit ist selten

Gerade in grösseren Stockwerkeigentümergemeinschaften kann man davon aber meist nur träumen. Einstimmigkeit ist jedoch keine Voraussetzung für Sanierungsprojekte. Es reicht – sofern das Reglement nichts anderes bestimmt –, wenn die Mehrheit der Eigentümer einverstanden ist. Für «notwendige Massnahmen», wie etwa Unterhalts- und Erneuerungsarbeiten, braucht es das einfache Mehr – also über die Hälfte der bei der Versammlung anwesenden Eigentümer, unabhängig von deren Wertquoten. Bei «nützlichen Massnahmen», wie etwa einer energetischen Sanierung, ist hingegen schon ein qualifiziertes Mehr nötig. Das heisst, nicht nur die Mehrheit der Eigentümer muss dafür stimmen, sondern diese muss auch über mehr als die Hälfte aller Wertquoten verfügen. Die Höhe der individuellen Wertquote hängt von der Grösse der Wohnung und ihrer Lage im Gebäude ab.

 

Endlich Ruhe

Hätten sich die Berner Stockwerkeigentümer nicht einigen oder das Geld nicht auftreiben können, dann hätte sich das Projekt wohl gleich um ein paar Jahre verzögert, ist sich Michel Wyss sicher. Wobei der Faktor Zeit einem festgefahrenen Projekt auch zuarbeiten kann. Experte Wyss hat dies schon in anderen Liegenschaften durchgespielt: Wenn etwa der Erneuerungsfonds zu klein ist, könne es sich lohnen, ein Projekt beispielsweise erst zwei Jahre später zu beginnen. «Das gibt den Eigentümern Zeit, sich das fehlende Geld zu beschaffen.» Auch eine Etappierung der Sanierungsmassnahmen kann hilfreich sein.

Den Faktor Zeit streicht auch Roland Lenzin von der Hochschule Luzern in seiner Masterarbeit «Auswege aus dem Sanierungsstau bei Stockwerkeigentümergemeinschaften» heraus. «Je früher die Entwicklung eines Sanierungsprojekts beginnt, desto grösser ist der Handlungsspielraum», schreibt er dort. Als Hauptursachen für verhinderte Sanierungen macht Lenzin folgende vier Punkte aus:

  1. Fehlendes Wissen über Stockwerkeigentum beim Kauf
  2. Fehlende Finanzierungsmöglichkeiten
  3. Ungenügende Anreize und fehlende Festlegung des Sanierungsziels
  4. Schwächen in der Kommunikation beim Entscheidungsprozess

 

Diese Stolpersteine hat die Stockwerkeigentümergemeinschaft in Bern schlussendlich alle umschifft. Ganz einfach war es nicht. Nach der erfolgreichen Sanierung liessen sie ihren Bewirtschafter Michel Wyss deshalb auch augenzwinkernd wissen: «Aber jetzt ist mal für einige Zeit Ruhe.»

Quelle: Beobachter, 28.03.2018